Das Thalia Theater – jung & mehr als Fallbeispiel

Verfasserin: Louisa Frölich

Einleitende Bemerkungen

„Die Corona-Pandemie hat Nähe- und Präsenzerfahrungen in den Künsten wie in der Gesellschaft überhaupt radikal infrage gestellt.“ (Hippe 2020) So war das Thalia Theater in Hamburg, wie auch die anderen, verbleibenden 141 Staats-, Stadttheater- und Landesbühnen sowie weiteren 199 Privattheater, die nach den jüngsten Erhebungen des Deutschen Bühnenvereins in Deutschland existieren (vgl. Reucher 2021), wegen der Corona-Pandemie geschlossen. „Die Bretter, die für Theatermenschen die Welt bedeuten: Sie sind verwaist.“ (Peschel 2020). In den Lockdowns setzten die Theater und Konzerthäuser mit Streams und weiteren digitalen Angeboten ein Zeichen für Kultur und gegen Stillstand derselbigen.

Es ist nicht abzusehen, wie langfristig und tiefgreifend die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Theater und die Gesellschaft sein werden. Das Virus und seine so genannten Superspreader-Eigenschaften machen Versammlungen vieler Menschen zum neuralgischen Punkt. Das Publikum ist bedroht, die Corona-Krise ist eine Krise der Versammlung. Um der neuen Lage zu begegnen, müssen die Theater sich umgestalten. […] (nachtkritik 2020)

Welche Erkenntnisse sich aus diesem neuen pandemischen Zustand ziehen lassen können, auf welche neuen Ideen er die ‚Theatermenschen‘ bringt und welche neuen Spielräume eröffnet werden, wird gegenwärtig diskutiert (vgl. ebd.).

In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, was sich für die Kinder- und Jugendtheater (KJT) in Deutschland am Beispiel des Thalia Theaters Hamburg und seiner theaterpädagogischen Abteilung jung&mehr in Zeiten der Pandemie verändert hat und welche kreativen Möglichkeiten ergriffen werden, kulturschaffend zu sein bzw. zu bleiben. Natürlich kann diese Frage nicht abschließend beantwortet werden, vielmehr soll der Beitrag auf eine Momentaufnahme deutscher Kinder- und Jugendtheaterkunst aufmerksam machen. Daher liegt der Fokus auf einem ausgewählten Beispiel, mit dem Projekte und Konzepte am Thalia Theater jung&mehr verdeutlicht werden, der Corona-Krise als eine „Krise der Versammlung“ (nachtkritik 2020) künstlerisch zu begegnen.

Bretter, die die Welt bedeuten

Um einen Erklärungsversuch des Begriffs des Kinder- und Jugendtheaters nachgehen zu können, soll hier zunächst grundlegend über den Begriff des Theaters informiert werden:

Theater [gr. théatron = Schauplatz, Zuschauerraum], Sammelbez. für verschiedene Phänomene des Schauspiels, seiner materiellen Realisierung und gesellschaftlichen Verankerung: […] 4. die Aufführung eines Schauspiels selbst, […]. Als Minimaldefinition von Th. – im Sinne der zentralen Bedeutung (4) – gilt: A spielt B, während C dabei zuschaut. Zuschauer und Darsteller sind die zwei Konstituenten eines jeden Th.s. […] Th. Ist eine unmittelbar gegenwärtige Kunstform, die <live> präsentiert wird. […] (Burdorf et.al. 2007: S.764)

Wie in der Definition deutlich wird, so betont auch die neuere Theater- und kulturwissenschaftliche Forschung, dass Theater nicht das ist, was sich auf der Bühne abspielt, sondern im Zusammenspiel zwischen Schauspieler*innen und Zuschauer*innen in einem Raum, an einem Ort und zu einer Zeit zustande kommt. Die Theaterwissenschaft spricht hier von der sogenannten absoluten Gegenwärtigkeit des Theaters. Es handelt sich um ein Ereignis, die Aufführung eines Stücks, die in diesem Sinne nicht wiederholbar ist. Theater wird als Kunst der Begegnung von lebendigen Menschen verstanden, die sich an einem Ort versammeln, um gemeinsam etwas zu teilen. Theater wird somit zur geteilten Erfahrung.

Für das Theater wesentlich ist sein Charakter als eine Versammlung. Weder die versammelten Museumsbesucher vor einem Bild noch das Publikum eines Films sind in die Situation gebracht, realer Bestandteil der künstlerischen Handlung von Menschen zu sein. Theater als Kunstform und als Verhaltensweise hat im Kern mit dem Zusammen-Kommen von Theatermachern und Publikum zu tun. (Lehmann, 1997, S.7 zit. In: Hentschel 2016: 158)

Die Grundbedingungen des Mediums Theater sind also in einer dialogischen Präsenz mindestens zweier Menschen und in einem besonderen, d.h. aus den Bezügen des Alltagslebens hervorgehobenen Ort, auszumachen (vgl. Hentschel 2016: 157ff., 197).

Wenn es also „der Mensch [ist], der im Theater auf andere Menschen wirkt, und zugleich der Mensch auf der Bühne, der zum ‚Zeichen‘ für einen Menschen wird“ (Hentschel 2016: 159) stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten dem Theater und damit auch dem Kinder- und Jugendtheater bleiben angesichts der langfristigen und tiefgreifenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Theater und Gesellschaft.

Kunst der Begegnung – Kinder- und Jugendtheater

Doch zunächst soll der Begriff des Kinder- und Jugendtheaters (KJT) vorgestellt werden, der nach Gert Taube (2016) eine doppelte Bedeutung aufweist. KJT umfasst nicht ‚nur‘ das Theater für Kinder und Jugendliche. Damit werden auch alle Theaterformen erfasst, bei denen Kinder und Jugendliche selbst zu Akteuren werden (ebd.: 290).

Um den besonderen künstlerischen Wert der Theaterkunst für Kinder und Jugendliche zu betonen und vom Laientheater abzugrenzen, wurde mit der Entstehung eines eigenen Theaters für junge Zuschauer*innen in den 1970er Jahren in der BRD der Begriff eines professionellen KJT etabliert.[1] Bei dieser ersten Bedeutungsebene im Sinne von Schauspiel- und Literaturtheater sind Kinder und Jugendliche in erster Linie Rezipient*innen in ‚klassischen‘ Theaterräumen oder auch mobilen Theatern. Demgegenüber steht das Kinder- und Jugendtheater, das Kinder und Jugendliche selbst produzieren. D.h., es handelt sich um eigene Inszenierungen, die Kinder und Jugendlichen sind selbst Schauspieler*innen und eigenständig an allen Prozessen beteiligt. Theater wird hier zum außerschulischen Lernort oder auch zum Schultheater (vgl. ebd.: 298).[2]

Die Theaterpädagogik stellt schließlich die dritte Ausprägung des Kinder- und Jugendtheaters dar, das in der Praxis kaum noch trennscharf von den o.g. zwei KJT-Phänomenen unterschieden werden kann, da die wechselseitigen Einflüsse und Prinzipien weiter zunehmen. Theaterpädagogik bewegt sich im Spannungsfeld von kreativer Kunstproduktion („Spiel als Kunst“, ebd.: 299) und Kompetenzvermittlung („Kunst der Vermittlung“, ebd.). Die Säulen der Theaterpädagogik sind somit das Theater und die Pädagogik. Im Umkehrschluss – und mit Blick auf den derzeitigen pandemischen Zustand relevant – ist sie dann auch abhängig von Entwicklungen der Kunstform Theater und von pädagogischen, didaktischen und politischen Bildungsvorstellungen (Hentschel 2016: 185). Zusammengefasst hat Theaterpädagogik eine vermittelnde Funktion. Die Formen, Ausdrucks- und Wirkungsweisen des Theaters sollen für soziale und künstlerische Bildungsprozesse der Kinder und Jugendlichen nutzbar gemacht werden (vgl. Taube 2016: 298f.).

Mit Blick auf die noch nicht abzusehenden Entwicklungen und weiteren Herausforderungen, die die Corona-Pandemie für das Theater, das KJT und die Gesellschaft insgesamt bereithält, müssen sich die Theater umgestalten und ihre kreativen Aktivitäten ins Internet hinein erweitern, um der neuen Lage zu begegnen. Theater für und mit Kindern in der Corona-Krise zu gestalten, bedeutet insbesondere daher auch, Fragen, die durch die Pandemie verstärkt bzw. beschleunigt zu Tage treten, aufzunehmen und Antworten einzufordern. Denn:

Theater für und mit Kindern und Jugendlichen ist wie die Kunst überhaupt ein Seismograf gesellschaftlicher Befindlichkeiten. Hier werden Wahrnehmungsweisen, Kommunikationspraxen, Körpererfahrungen, Visionen, aber auch Verdrängungen und Ausschlüsse, mithin Verschiebungen in unseren Weltverhältnissen auffindbar. (Hentschel 2016: 8)

Das Thalia Theater – jung&mehr

Im 21. Jahrhundert ist die deutsche Theaterlandschaft in ihren Organisationsformen und Fördermodellen beinahe genauso vielseitig wie die angebotenen künstlerischen Angebote. Im Verlauf dieser Entwicklungen hat sich das Theater für junge Zuschauer*innen zum anerkannten Teil der Theaterkultur in Deutschland etablieren können. Entweder als vierte Sparte von Staats- und Landestheatern mit den klassischen Sparten Musiktheater, Schauspiel und Ballett, und an Freien Theatern. Oder in Form von theaterpädagogischen Abteilungen (vgl. Taube 2016: 296), wie es auch beim ausgewählten Beispiel aus Hamburg der Fall ist.

Grafik: Balkendiagramm zur Typologie von Kinder- und Jugendtheatern in Deutschland, insgesamt fünf Typen á 5 Balken. Prozentuale Aufteilung, am meisten Typ 4 (selbst produzierte Theater ohne eigne Spielstätte, 32%)

Abb.1: Typologie der Kinder- und Jugendtheater in Deutschland. Renz (2017).

Das Thalia Theater ist seit 1937 neben dem Deutschen Schauspielhaus und der Hamburger Staatsoper eines der drei Hamburger Staatstheater. Es gehört damit zu jenen 22 Prozent deutscher Kinder- und Jugendtheater, die als Teil einer größeren, in öffentlicher Trägerschaft befindenden Organisation (vergleichsweise) über hohe Umsätze, angestellte Mitarbeiter*innen und hauseigene Dienstleistungen (Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit etc.) verfügen.[3]

Das Theater wurde, nach der griechischen Muse der Komödiendichtung Thalia benannt, 1843 eröffnet bzw. 1912 mit einem größeren Neubau am heutigen Hauptstandort am Gerhart-Hauptmann Platz wiedereröffnet. Seit 2009 ist Joachim Lux Intendant des Thalia Theaters. Das Repertoire des Thalia Theaters umfasste vor der Corona-Pandemie etwa 20 Produktionen, pro Spielzeit gab es neun Premieren im „Großen Haus“ und etwa sechs Premieren bzw. Erstaufführungen junger Autor*innen und experimentelles Theater im „Thalia in der Gaußstraße“. Zur Aufführung kamen sowohl Klassiker beispielsweise von Shakespeare, Goethe, Schiller, Brecht und zeitgenössische Stücke von Thomas Köck, Marie-Aude Murail oder Andy Rand (vgl. Thalia Theater 2021a).

Neben diesem Repertoire ist im vorliegenden KJT-Kontext auf das ebenso jährlich erscheinende U18-Programm zu verweisen, für das die theaterpädagogische Abteilung Thalia jung&mehr verantwortlich ist (vgl. Thalia Theater jung&mehr 2020a). Hier finden sich in der Kategorie ‚Wiederaufnahmen‘ primär Klassiker, darunter Werke von beispielsweise Miller, Stuckrad-Barre oder Kafka mit starkem Fokus auf historische, kulturelle, politische und gesellschaftliche Inhalte, dessen Aufführungen (ausgewiesen mit einer Altersempfehlung) somit eine hohe bildungspolitische Relevanz aufweisen. Zusätzlich bot das Thalia Theater vor Pandemiezeiten sogenannte ‚Klassenzimmerstücke‘ (Thalia Mobil) an, die für Vorstellungen in Schulen gebucht werden konnten (vgl. Thalia Theater jung&mehr 2020b). Dieser theaterpädagogische Schwerpunkt setzt sich auch in den Projekten des aktuellen (coronageprägten) Programms für 2020/21 fort, wovon einige im Folgenden exemplarisch analysiert werden sollen.

Die ‚Corona-Strategie‘ des Thalia jung&mehr

Im Spielplan 20/21 des Thalia jung&mehr verweisen die Verantwortlichen auf die mit der Corona-Pandemie zusammenhängenden gesellschaftlichen und persönlich-individuellen Verunsicherungen und Bedrohungslagen. Das Thalia jung&mehr begreift sich hier mit seinen ‚corona-angepassten’ Projekten als Vehikel, dabei zu helfen, Antworten auf die daraus resultierenden Fragen zu finden (vgl. Thalia Theater jung&mehr 2020e).

So auch das vom Thalia koproduzierte und online stattfindende Festival „Lessingtage 2021 Digital: Stories of Europe“, das insgesamt zwölf Inszenierungen von verschiedenen deutschen und europäischen Theatern im täglichen Stream anbot.

Plakat der Lessingtage 2021. In großer weißer, weich umrundeter Schrift steht der Titel "Stories from Europe" auf schwarzem Grund geschrieben. Dazwischen laufen einige wei0e abstarkt gemalte, winkende Strichmännchen. AM unteren Rand das Logo des Thalia Theaters und die Daten der Lessingtage (20.Januar bis 2. Februar 21)

Abb. 2: Titelplakat der Thalia Lessingtage 2021.

Angestrebtes Ziel der Organisator*innen und Verantwortlichen bestand darin, dem deutschen wie dem internationalen Publikum von der „paneuropäischen Couch“ (Thalia Theater 2021b) heraus die Möglichkeit zu geben, ein digitales Panorama des europäischen Theaters zu erleben (vgl. ebd.).

Für dieses digitale Festival wurden darüber hinaus zwei Schulprojekte entwickelt, die an dieser Stelle kurz skizziert werden: zum einen Texturen der Freiheit.

Screenshot aus Videoprojekt "Texturen der Freiheit". Zu sehen ist eine grüne Telefonzelle mit einem Thalia Plakat an der Scheibe, deren Tür leicht geöffnet steht.

Abb. 3: Screenshot YouTube-Video (2021, Januar 25): Video-Projekt zu Texturen der Freiheit.

Dabei handelt es sich um ein Recherche-Projekt von und mit Hamburger Schulen, die sich dem Begriff der Freiheit genähert, individuelle Statements erarbeitet und diese dann in den sogenannten record-o-mat, der in einer Telefonzelle eingebaut ist, eingesprochen haben. Diese zu einer Collage zusammengefügten Texturen der Freiheit, verstanden als kollektive Klangskulptur, werden öffentlich kundgetan und fordern zum Zuhören auf. Zum Youtube-Video.

Das andere Projekt ist Held*innen des Alltags, eine Kunst-Installation von und mit Schulgruppen auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz. Ca. 1000 Hamburger Schüler*innen sind der Fragestellung nachgegangen, wer aus dem eigenen Umfeld oder darüber hinaus in Krisenzeiten unentbehrlich ist und aus welchem Grund. Zu dieser analogen Ausstellung gibt es auch noch eine digitale Begleitausstellung (vgl. Thalia Theater jung&mehr 2021a).

Ein anderes jung&mehr-Projekt in Zeiten der Pandemie ist die Video-Performance der Jugendtheatergruppe Reset des Thalia Theaters zum Thema Zoom und Theater, in der Erfahrungen mit dem digitalen Theater sowie sich im Netz befindenden Spielorten erprobt und mit den Zuschauer*innen geteilt werden. Selbstreflektierend werden Fragen aufgeworfen, die eine Kultur der Präsenz gegenüber einer aktuellen Bildschirmgesellschaft mit ihren eigenen Kommunikationsformen und -regeln oder auch die Erweiterungen und Verschiebungen der theatralen Sphäre berühren (vgl. Thalia Theater jung&mehr 2021b).

Screenshot aus Video-Projekt zum Thema Zoom des Thalia jung&mehr. Eingefrorener Bildschirm einer Zoom-Konferenz, nur vier Menschen sind auf ihren Bildschirmen zu sehen, die restlichen PAnzeigen haben kein Bild.

Abb. 4: Screenshot YouTube-Video (2021, Januar 18): Video-Projekt zu Zoom und Theater.

Beim Anschauen des Videos kommen einem einige Fragen und Kommentare aus eigenen Zoom-Erlebnissen durchaus bekannt vor, bleiben aber aufgrund der Performance auch nachhaltig in Erinnerung, so z.B.: „Die Verbindung ist so schlecht …“
„Wir müssen ausbrechen!“
Und immer wieder das (teilweise schluchzende): „Bist du da?“

Abschließende Bemerkungen

Mit Blick auf die eingangs formulierte und hier nicht abschließend zu beantwortende Frage „Was hat sich für die Kinder- und Jugendtheater – hier am Beispiel des Thalia jung&mehr – in Zeiten von Corona verändert und welche Möglichkeiten bleiben bzw. entstehen?“ muss erstens festgehalten werden, dass die Corona-Pandemie die sogenannte absolute Gegenwärtigkeit des Theaters nicht mehr zuließ und nur langsam wieder zulassen kann. Die ‚klassischen‘ Grundbedingungen, u.a. physische Präsenz, das einmalige Moment oder die Flüchtigkeit des Augenblicks, waren und sind nicht länger gegeben. So blieb auch der Spielbetrieb des hier beispielhaft herangezogenen Thalia Theaters und seiner KJT-Abteilung jung&mehr Juni 2021 eingestellt bzw. eingeschränkt. Alle KJT-Gruppen, -Projekte, -Workshops und Gastspiele der mobilen Produktionen an Schulen konnte nicht stattfinden bzw. werden „möglichst in einem digitalen Format fortgeführt […].“ (Thalia Theater jung&mehr 2021c).

Zweitens konnte anhand der ausgewählten Online-Projekte gezeigt werden, wie angesichts der Pandemie versucht wird, Räume mithilfe von digitalen Spielorten, Zoom-Performances und Streamings zu konstruieren, die auch weiterhin als Gemeinschaftsorte mit Intensität und Fantasielust erlebbar bleiben.

Die vorgestellten Projekte können darüber hinaus nicht ‚nur’ als neue Erfahrungen für das Thalia Theater und seine Akteur*innen, sondern, drittens, auch für die Rezipient*innen verstanden werden, denen als soziale Wesen ‚im’ oder besser über das Theater ein Austausch ermöglicht wird, auch wenn die Rezeptionssituation unter Bedingungen der Corona-Pandemie eine ganz andere ist. Wie hier aufgezeigt wurde, verfügt die coronabedingte Schließung der Theaterkunst somit auch über das Potenzial, schöpferische Möglichkeiten der Beschäftigung mit Theater zu entwickeln und auch (nach über eineinhalbjähriger Pandemie) Denkweisen und Wahrnehmungen zu öffnen, wie das Projekt Texturen der Freiheit zeigt, und Vertrautes fremd wahrzunehmen, was das Held*innen-Projekt verdeutlicht.

Mit der oben dargestellten Auswahl an ‚Online-Projekten‘ des Thalia Theaters und seinen jung&mehr-Mitarbeiter*innen, Kinder- und Jugend-Darsteller*innen und anderen Mitwirkenden sollte exemplarisch eine Corona-Strategie dargestellt werden, die auf die Phase der Transformation aufmerksam macht, die das Theater bzw. das Kinder- und Jugendtheater (und weitere angelagerte Branchen) seit dem Auftreten der Pandemie unterläuft. Welche dieser Erweiterungen sowie Verschiebungen der theatralen Sphäre und letztlich auch KJT-Sparte vielversprechend sind, wird im Verlauf noch weiter erprobt und ausgehandelt werden (müssen).

Dem nicht zu leugnenden und nach wie vor schwerwiegendem Verlust der Präsenz stehen somit auch Zugewinne gegenüber, die eher nicht die Frage eines Wiederaufbaus nach Corona in den Mittelpunkt rücken, sondern vielmehr die Position einer digitalen Erweiterung von Theater, das nach wie vor als Zentrum der Begegnung fungiert. So können digitale Innovationen und der virtuelle Raum, wenn sie von der Theaterpädagogik be- und geleitet werden, auch Möglichkeiten der Öffnung der Theaterkunst hin zur Gesellschaft bzw. hier insbesondere der Kinder- und Jugendlichen sein, diese kreativ und zukunftsgerichtet (wieder zurück) an das Theater heranzuführen. Wenn der ‚Regelbetrieb‘ wieder anläuft, ist es an den Theatern, hier dem Thalia und seinen jung&mehr-Mitarbeiter*innen, den nächsten Schritt evtl. in der Integration dessen zu sehen, was in den andauernden Lockdown-Phasen gelernt wurde.

[1]  Für eine ausführliche Darstellung der historischen Entwicklungen des KJT in der BRD und damaligen DDR vgl. Taube 2016.

[2] Der Begriff Junges Theater ist dabei abzugrenzen vom KJT und kann im Rahmen dieser Arbeit nur skizzenhaft dargestellt werden. Taube (2016) spricht in diesem Zusammenhang von einem „dialektischen Gegensatz zum KJT“ (ebd.: 290). Junges Theater steht in der Tradition des emanzipatorischen KJT, das die Widerständigkeit und Unangepasstheit der Jugend auf die Bühne bringen will, um Alternativen zu gesellschaftlich aktuellen Konventionen und Anforderungen aufzeigen und diese in ihrer Arbeit mit KJ auch leben will. Es handelt sich also um Theater für Kinder mit einer inhaltlich anders ausgerichteten Programmatik. (vgl. ebd.).

[3] Für einen ausführlichen Überblick über die derzeitigen Typen von KJT in Deutschland siehe: Falsch 2017. Bei dieser 2017 publizierten Studie von Assitej e.V., einem der größten internationalen KJT-Verbände, werden organisatorische Merkmale zur Typologisierung von KJT in Deutschland herangezogen und die daraus resultierenden finanziellen, personellen und natürlich auch künstlerischen Auswirkungen herausgestellt.

 

Literatur

  • Burdorf, Dieter et.al. (2007) (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 764.
  • Hentschel, Ingrid (2016): Theater zwischen Ich und Welt. Beiträge zur Ästhetik des Kinder- und Jugendtheaters. Theorie-Praxis-Geschichte. Bielefeld: transcript Verlag.
  • Renz, Thomas (2017): Zur Lage des KinderJugendtheaters in Deutschland. Erkenntnisse und Herausforderungen. Herausgegeben von der ASSITJEJ e.V.. Frankfurt a.M.
  • Taube, Gerd: Kinder- und Jugendtheater der Gegenwart. In: Lange, Günter (2016) (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. Ein Handbuch. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. S.290-306.

Onlinequellen:

Abbildungen

  • Abb. 1: Renz, Thomas (2017): Typologie der Kinder- und Jugendtheater in Deutschland. In: Zur Lage des KinderJugendtheaters in Deutschland. Erkenntnisse und Herausforderungen. Herausgegeben von der ASSITJEJ e.V.. Frankfurt a.M.
  • Abb. 2: Thalia Theater jung&mehr (2021): Titelplakat der Lessingtage 2021. Unter: https://www.thalia-theater.de/programm/thaliaplus/festivals/lessingtage/lessingtage-2021/ [Zuletzt aufgerufen am 14.09.2021]
  • Abb. 3: Thalia Theater jung&mehr (2021, Januar 25): Texturen der Freiheit – Thalia jung&mehr. Screenshot aus Video: https://www.youtube.com/watch?v=Qnb1xMpyZ6I [Zuletzt aufgerufen am 14.09.2021]
  • Abb. 4: Thalia Theater jung&mehr (2021, Januar 18): Zoom und Theater 1: Thalia jung&mehr Jugend-Performance-Gruppe RESET. Screenshot aus Video: https://www.youtube.com/watch?v=-PSPd24Uq_Y [Zuletzt aufgerufen am 14.09.2021]