COVID-19 – ein kulturelles Experiment

 

Das Coronavirus hat zu einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation geführt und unser aller Leben einschneidend verändert. Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung des Virus stellen uns als Gesellschaft und als Individuum stets neu auf die Probe, sie verändern unseren Alltag.

Das Virus, die Pandemie und die damit verbundenen Heraus- und Überforderungen werden daher mittlerweile als ‚Lupe‘ respektive ‚Brennglas‘ bezeichnet (vgl. bildungsklick 2020 ; Deutschlandfunk Kultur 2020), wodurch gesellschaftliche Missstände und soziale Ungleichheiten deutlich(er) hervortreten und sogleich verstärkt werden. Viele der gesellschaftlichen Diskurse sind jedoch nicht unbekannt, erhalten aber durch und mit der Pandemie als Katalysator eine neue Brisanz und werden in großen Teilen polarisierend geführt. Kunst und Kultur sind auch hier zentrale Gradmesser für essentielle gesellschaftliche Veränderungen, gehören zum System und sind relevant.

Eine Bank in einem Gebäude der Universität Hamburg, auf der ein Hinweisschild zur Einhaltung des 1,5m Abstandes klebt. Im Hintergrund Grünpflanzen und ein Uni Café.

Symbolbild Corona_Hygieneregeln an der UHH

Das komparatistische Seminar COVID-19 – ein kulturelles Experiment, das im Wintersemester 2020/2021 am Institut für Germanistik der Universität Hamburg auf die aktuelle Pandemie reagierte, gab innerhalb der akademischen Lehre eine erste Gelegenheit zur Auseinandersetzung und zugleich Anstoß zum Nach- und Weiterdenken über unterschiedliche, interdisziplinäre Phänomene der Pandemie, die in diesem Blog nun präsentiert und erweitert werden sollen. Das Seminar dient als Ausgangspunkt für den Blog, in dem die (ersten) Ergebnisse von Studierenden gesammelt und sichtbar gemacht werden. Zudem stellt der Blog eine Art Fortführung der Auseinandersetzung dar, die wiederum Grundlage für weitere Seminare sein kann, aber auch durch die Perspektive des “Danachs” bereits entstandene oder ganz neue Entwicklungen weiter dokumentieren kann. Der Blog soll sowohl Studierenden als auch Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachrichtungen und Schwerpunkte als Anregung dienen, die Corona-Forschung aus kultur- und literaturwissenschaftlicher Perspektive sichtbar zu machen, zu verbreiten und somit zur Interaktion anzuregen.

Daher versteht sich der Blog #LitWiCorona: COVID-19 als ‚kulturelles Experiment‘, in dem gesellschaftliche, öffentliche und private Bereiche thematisiert werden, in denen die ‚Corona-Krise‘ (neue) Diskussionen und Debatten hervorgerufen hat, die z.T. schon seit Jahren in Kunst und Literatur verhandelt werden, wie bspw. soziale und geschlechtliche Ungleichheit. Dabei wird auf unterschiedliche Aspekte und Phänomene der Pandemie eingegangen, die mit Kunst- und Kulturproduktion in Verbindung stehen  und so eine Art ‚Bestandsaufnahme‘ der künstlerischen Produktionen seit Pandemie-Beginn abbilden. Von besonderem Interesse ist das Aufeinandertreffen von Alt und Neu, von Konvention und Innovation: Traditionelle, ebenso wie digitale und soziale Medien informieren und begleiten die gesellschaftlichen Debatten. Unter Schlagworten wie ‚Corona- und QuarantäneKunst‘ versammeln sich bspw. künstlerische Produktionen, die in der Zeit der Krise alte und neue Textsorten und Kunstwerke (re)produzieren. Doch was hat Corona an der allgemeinen und medialen Rhetorik eigentlich verändert? Welche Genres haben durch die Pandemie Auftrieb bekommen oder sind erst durch sie entstanden? Wie wurden neuere Phänomen wie das ‘Social Distancing’ in den Medien verarbeitet → CoronaPsyche?

Die Corona-Krise soll daher als Vermittlungs- und Erzählrahmen verstanden werden, in dem unter anderem nach ‘Krisennarrativen’ und ‘Krisenrhetoriken’  gefragt werden kann (vgl. Gräf 2021). 

Besonders das diskursive Feld der digitalen Medien ist für die ‘Krisenrhetorik’ zentral. Denn im Zuge der Pandemie wurden und werden beispielsweise digitalen Kommunikationskanälen auch Verschwörungserzählungen bzw. ‘Fake News’ zugeschrieben. CoronaRhetorik

Bei den ‘Krisennarrativen’ lassen sich besonders Transformationen tradierter Erzählmuster erkennen, aber auch die Verarbeitung ganz persönlicher (Corona-) Entwicklungen und Erfahrungen. So wird neben aktuellen Beispielen aus Film und Musik  in CoronaBühnen auch das Theater in den Blick genommen.

In der (neuen) → CoronaLiteratur finden sich ebenfalls tradierte Verfahren und etablierte Textsorten wie der Essay als ‘Versuch’. Es lässt sich fragen, ob der Essay nicht ‘die literarische Form’ zur Darstellung der Pandemie sei, da er als Denk- und Schreibverfahren im “Gegenzug zur fortschreitenden Ausdifferenzierung der Wissensdiskurse […] auf die Verknüpfung der Erkenntnisse und Erfahrungen zu einer Einheit des ‘Lebens’, zu einer Totalität der ‘Kultur’” dringt und so “als ein kultureller ‘Interdiskurs’” fungiert (Schweikle/Kaufmann 2007: 210).  Auch die Studierenden widmen sich selbst der Essayistik und verfolgen in CoronaGedanken das Denken und Schreiben als Experiment.

Andere literarische Verfahren sind z.B. das ‘therapeutische Schreiben’ als ‘kreatives Schreiben in der Krise’ in Corona/Quarantäne-Tagebüchern, denn: „Wenn sich das Leben entscheidend wendet, […] wir in tiefe Nöte stürzen, empfinden wir das als existenzielle Krise. Wir erleben ein belastendes Ungleichgewicht zwischen der immensen persönlichen Bedeutung des Problems und den vergleichsweise unzureichenden Bewältigungsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.“  (Rechenberg-Winter 2015: 14.)

Besonders für Kinder müssen vielseitige Bewältigungsmöglichkeiten geschaffen werden, um die Pandemie zu (be-)greifen: Wie wird die Pandemie daher beispielsweise in Kinder- und Bilderbüchern vermittelt und erklärt? → CoronaKinder

Ein weiteres Phänomen, das mit und durch das Virus neue Qualitäten erhalten hat, ist das pandemiebedingte Konsumverhalten: Schlangen am Supermarkt, ausverkauftes Toilettenpapier und die Verlagerung des ‘Window Shoppings’ in die rein digitale Welt sind nur einige Beispiele für den CoronaKonsum

Die hier vorgestellten (und mit der weiteren Blog Entwicklung darüber hinaus auch neu entstehenden) Kategorien laden mit ihren vielfältigen Beiträgen zum Stöbern, Nachforschen, Erinnern und Weiterdenken ein und liefern neue Impulse und Perspektiven zur kulturellen Dimension der Corona Pandemie.

 

Literatur

bildungsklick (2020): Corona gleicht einer Lupe 07.08.2020. Unter: https://bildungsklick.de/schule/detail/corona-gleicht-einer-lupe [letzter Zugriff: 28.06.2021]

Deutschlandfunk Kultur (2020): Theorie in Corona Zeiten. Brennglas für gesellschaftliche Missstände 05.07.2020. Unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/theorie-in-coronazeiten-brennglas-fuer-gesellschaftliche.2162.de.html?dram:article_id=479895 [letzter Zugriff 28.06.2021]

Gräf, Dennis (2021): Corona und mediale Öffentlichkeiten. Interdisziplinäre Perspektiven auf den Zusammenhang von SARS-CoV-2 und Medien. In: H-Germanistik 24.02.2021. URL: https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/7332361/corona-und-mediale-öffentlichkeiten-interdisziplinäre 

Rechenberg-Winter, Petra (2015): Leid kreativ wandeln. Biografisches Schreiben in Krisenzeiten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Schweikle, Irmgard/Kaufmann, Kai (2007): Essay. In: Burdorf, Dieter/Fasbender, Christoph/Moennighoff, Burkhard (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, S. 210–211.